Zum 24. Jahrestag der Solinger Tragödie

Zum 24. Jahrestag der Solinger Tragödie

Heute, am 29. Mai 2017, jährt sich die Solinger Tragödie zum 24. Mal. Vor genau 24 Jahren, am 29. Mai 1993, wurden fünf Frauen und Kinder der Familie Genç bei einem Brandanschlag grausam ermordet. Dieses entsetzliche Verbrechen, das als Solinger Tragödie in die Geschichte einging, war der traurige Höhepunkt einer Reihe von rassistischen Angriffen, zu denen auch die Übergriffe in Hoyerswerda, Rostock und Mölln gehörten. In dieser Zeit führte die zunehmende antimuslimische und fremdenfeindliche Rhetorik zu einem politischen Klima, das rassistische Gewalt begünstigte.

Doch trotz aller Warnungen setzte sich diese Entwicklung fort. Das Versagen bei der Aufklärung der NSU-Morde und die zahlreichen Fehler während der Ermittlungen zeigen erneut, dass Deutschland den Kampf gegen den Rassismus nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit führt. Auch heute erleben wir mit Bedauern, dass viele politische Akteure aus der Vergangenheit nichts gelernt haben und durch spaltende, diskriminierende Äußerungen das gesellschaftliche Klima weiter vergiften.

Rassismus ist die größte Bedrohung für Europa und Deutschland

Rassismus bleibt die größte Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland und Europa. Die Justiz, die Medien und die Politik müssen entschlossen und geschlossen gegen Rassismus vorgehen. Zivilgesellschaftliche Organisationen sind aufgerufen, gemeinsam ein neues Bewusstsein in der Gesellschaft zu schaffen.

Wir befinden uns in einer Zeit, in der rechtsextreme Parteien beunruhigend hohe Wahlergebnisse erzielen. Fremdenfeindliche und rassistische Strömungen nehmen zu. Muslime erleben in vielen Bereichen ihres täglichen Lebens immer größere Herausforderungen. Moscheen werden angegriffen, islamische Einrichtungen werden Ziel von Anschlägen, und das gesellschaftliche Klima wird zunehmend feindseliger. Statt echte Lösungen zu suchen, werden die Hoffnungen und Perspektiven von Millionen Menschen, die Deutschland zu ihrer Heimat gemacht haben und zum Wohlstand des Landes beitragen, ignoriert.

Das Wiederaufleben alter Debatten und die Enttäuschung der Muslime

Während unsere Herausforderungen nach echten Lösungen verlangen, sorgt die Wiederaufnahme alter politischer Diskussionen für große Enttäuschung unter den Muslimen in Deutschland. Die Debatte über die „Leitkultur“ ist nicht mehr als eine Wiederholung alter Vorurteile gegenüber muslimischen Migranten. Die Vorschläge von Innenminister Thomas de Maizière sind in diesem Zusammenhang sowohl nutzlos als auch problematisch und stehen in einem fragwürdigen Verhältnis zur deutschen Verfassung.

Wir rufen alle politischen Akteure dazu auf, sich an die Worte des Philosophen Jürgen Habermas zu erinnern:

„In einem demokratischen Verfassungsstaat kann die Mehrheit niemanden dazu zwingen, eine bestimmte Lebensweise anzunehmen. Es kann keine Pflicht geben, sich einer sogenannten ‚Leitkultur‘ anzupassen.“

Gleichberechtigte Teilhabe statt Ausgrenzung

Als Menschen, die in Deutschland leben und dieses Land als ihre Heimat betrachten, fordern wir, nicht als „die Anderen“ behandelt zu werden. Wir möchten die Werte, die unsere eigene Kultur prägen – Barmherzigkeit, Bescheidenheit, Mitgefühl und Vergebung – mit der Gesellschaft, in der wir leben, teilen. Wir wünschen uns, dass diese Werte als Teil einer vielfältigen und friedlichen Gesellschaft anerkannt werden.

Die ATİB sieht es als ihre Aufgabe, für den gesellschaftlichen Frieden einzutreten. Zum 24. Jahrestag der Solinger Tragödie gedenken wir der Opfer und rufen dazu auf, diese schrecklichen Ereignisse niemals zu vergessen.

Wir gedenken mit Respekt und Mitgefühl all jener, die bei der Solinger Tragödie und anderen rassistischen Anschlägen ihr Leben verloren haben. Möge ein solches Verbrechen in Deutschland nie wieder geschehen.

İhsan ÖNER
Generalsekretär der ATİB

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