Nach dem 15. Juli: „Es ist noch nicht zu spät, die türkisch-deutschen Beziehungen zu reparieren“
Ein Jahr nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei gaben die Vorsitzenden der Diyanet İşleri Türk-İslam Birliği (DİTİB), der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) und der Europa-Türkisch-Islamischen Union (ATIB) eine gemeinsame Erklärung ab:
„Am heutigen Tag vor einem Jahr wurde in der Türkei ein verheerender Putschversuch gegen den nationalen Willen unternommen, bei dem Hunderte unschuldige Menschen ihr Leben ließen und Tausende verletzt wurden. Die Haltung, die Europa gegenüber diesem Putschversuch einnahm, war für die hier lebenden türkeistämmigen Menschen besorgniserregend. Die Ereignisse nach dem 15. Juli zeigen deutlich, dass insbesondere die türkisch-deutschen Beziehungen wieder auf eine freundschaftliche Basis zurückgeführt werden müssen.“
Weiter hieß es in der Erklärung:
„Obwohl sie Tausende Kilometer von der Türkei entfernt sind, waren Türkeistämmige in aller Welt – unabhängig von ihrer politischen Einstellung – direkt von dem Putschversuch betroffen. Hunderttausende Menschen verbrachten die Nacht des 15. Juli 2016 am Telefon mit ihren Angehörigen in der Türkei, verfolgten die Entwicklungen in den sozialen Medien in Echtzeit und sahen voller Entsetzen, wie mit schweren Waffen auf die Bevölkerung geschossen und das türkische Parlament bombardiert wurde. Schon in den ersten Stunden dieses Angriffs strömten unsere Landsleute besonnen und ohne jegliche Radikalisierung zu den Konsulaten, um ihre Haltung zum Ausdruck zu bringen. Umso schmerzlicher war es für die hier lebenden Türkeistämmigen, dass dieses große Trauma in der europäischen Öffentlichkeit kaum verstanden wurde und die nachfolgenden Debatten den Ernst der Lage verkannten.
Die Diskussionen, die nach dem Putschversuch in der europäischen Öffentlichkeit aufkamen, standen in starkem Kontrast zu den Sorgen, die die Türkeistämmigen um die Sicherheit der Türkei hegten – ja, sie waren teilweise sogar ausgrenzend. Die Haltung, die in der deutschen Öffentlichkeit nach dem 15. Juli eingenommen wurde, beeinträchtigte nicht nur die türkisch-deutschen Beziehungen, sondern erschütterte auch das Vertrauen der türkeistämmigen Bevölkerung in die politischen Akteure ihrer Wohnländer. Die Tatsache, dass manche beinahe enttäuscht über das Scheitern des Putschversuchs wirkten, die Bedrohung für das türkische Volk herunterspielten und die Opfer – 249 Tote und Tausende Verletzte – ignorierten, hinterließ einen tiefen Vertrauensbruch.
Der damalige SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel räumte Wochen später ein, dass Deutschland am 15. Juli Fehler gemacht habe. Er erklärte, dass die Bundesregierung den Putschversuch deutlicher hätte verurteilen und stärkere Solidarität mit der türkischen Regierung und dem türkischen Volk zeigen müssen. Dies war eine richtige Aussage. Doch auch heute ist es noch nicht zu spät, dieses starke Signal zu senden. Obwohl die türkisch-deutschen Beziehungen nach dem Putschversuch eine historische Tiefphase erreichten, gibt es immer eine Möglichkeit, die langjährige Freundschaft zwischen beiden Ländern wiederzubeleben. Ein solcher Schritt der Bundesregierung würde von der türkischen Gemeinschaft in Deutschland mit Wohlwollen aufgenommen werden.
Die türkische Gesellschaft hat in den letzten Jahren enorme Herausforderungen durchlebt. Neben den Terroranschlägen, die die innere Sicherheit bedrohten, der geografischen Nähe zu gescheiterten Staaten und der Aufnahme von vier Millionen syrischen Flüchtlingen als direkt betroffenes Land der Syrien-Krise, musste sich die Türkei auch mit einem blutigen Putschversuch der Parallelstruktur innerhalb des Staates auseinandersetzen. Die deutsche Öffentlichkeit und Politik tragen die Verantwortung, der befreundeten Türkei in dieser schwierigen Zeit beizustehen und sie bei der Bewältigung dieser Herausforderungen zu unterstützen. Die Themen Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Pressefreiheit, die von der Türkei erwartet werden, können nur in einem konstruktiven und freundschaftlichen Umfeld diskutiert werden.
Die türkische und die deutsche Gesellschaft sind eng miteinander verflochten. Die Brücken zwischen diesen beiden Nationen, die eine lange Freundschaft verbindet, sind zu wertvoll, um sie kurzfristigen politischen Interessen zu opfern. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, ist es erforderlich, dass in beiden Ländern eine von Verantwortung geprägte und fernab von Populismus geführte Sprache dominiert.
Mit diesen Gedanken gedenken wir voller Respekt der Märtyrer, die vor einem Jahr ohne Zögern ihr Leben geopfert haben, um die Türkei vor den Putschisten zu verteidigen. Ihren Hinterbliebenen sprechen wir unser tiefstes Mitgefühl aus. Möge Gott die Türkei vor solch einer grausamen Tragödie in Zukunft bewahren.
Am Freitag, den 14. Juli, werden in allen unseren Moscheen nach dem Mittagsgebet religiöse Zeremonien abgehalten. Dies wird unserer Gemeinde, der Öffentlichkeit und allen Interessierten mit Respekt zur Kenntnis gebracht.“
Unterzeichnende Organisationen:
Diyanet İşleri Türk-İslam Birliği (DİTİB)
Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG)
Europa-Türkisch-Islamische Union (ATIB)